Liebe Leser:innen,
ein Zitat von Olaf Scholz hallt bei mir nach. Am Rande des Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Brüssel sagte der Kanzler am Donnerstag: „Anpacken ist wahrscheinlich das Beste, statt nichts tun und dann sich was ausdenken.“ Bei dem Treffen war Migration das bestimmende Thema.
Scholz’ Aussage ist beredt, finde ich. Anscheinend gehört es zum politischen Besteck des Kanzlers, sich im Nachhinein Ausreden fürs Nichtstun auszudenken. Vor allem aber verdeutlicht sie, wie sehr der Kanzler und mit ihm die Parteien der „Mitte“ von Getriebenen zu Treibern des Rechtsrucks geworden sind. Und dabei fallen reihenweise die Tabus.
In der EU gelten die Internierungslager der Postfaschistin Giorgia Meloni inzwischen als beispielhaft. Menschenrechtler:innen sprechen hingegen von einem „italienischen Guantánamo“.
Und im Bundestag wurde gestern das sogenannte Sicherheitspaket beschlossen. Es bringt massive Verschärfungen beim Asylrecht und neue Überwachungsbefugnisse für die Ermittlungsbehörden.
Als unverhältnismäßig und rechtswidrig hatten Kirchen, Menschenrechtsverbände und Jurist:innen das Gesetzespaket im Vorfeld kritisiert. Die geballte Kritik hat die Ampel weitgehend ignoriert. Auch in der gestrigen Plenardebatte kam sie kaum vor. Stattdessen dominierten Forderungen nach noch schärferen Restriktionen.
Man könnte das jetzt als Symbolpolitik abtun. Das aber würde ausblenden, dass die Ampel mit ihrem „kopflosen Aktionismus“, wie Kritiker:innen es nennen, die Grundrechte aller schleift. Dass sie Asylsuchende entrechtet und aushungert. Und dass sie den Diskurs noch einmal erheblich weiter nach rechts verschoben hat.
„Die Fortschrittskoalition ist tot“, schreibt daher mein Kollege Markus Reuter. Von ihrem Versprechen einer grund- und menschenrechtsfreundlichen Politik ist nichts mehr geblieben.
Nun ist zu hoffen, dass das „Sicherheitspaket“ möglichst bald dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. Ich bin gespannt, wie Karlsruhe dann entscheidet. Und was die Ampel-Vertreter:innen sich ausdenken, um ihr „Anpacken“ im Nachhinein zu rechtfertigen.
Damit wir euch aber nicht nur mit schlechten Nachrichten aus dieser Woche entlassen, noch ein Hinweis in eigener Sache: Am Mittwoch erhielt das Team von netzpolitik.org gleich zwei Grimme Online Awards. Ausgezeichnet wurden der Doku-Podcast „Systemeinstellungen“ und die Recherche zu den „Databroker Files“, die in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk entstand.
Wir haben uns riesig über die Ehrung gefreut und fühlen uns bestärkt, weiter mit allen Kräften für digitale Freiheitsrechte zu kämpfen!
Ein schönes Wochenende!
Daniel
Man fragt sich ja schon, wie es der Autor geschafft hat, Olaf Scholz über Jahrzehnte so zu ignorieren, dass es jetzt für irgendeine Verwunderung reicht…